Traumfabrik Harvard by Ulrich Schreiterer

Traumfabrik Harvard by Ulrich Schreiterer

Autor:Ulrich Schreiterer
Format: epub
Herausgeber: Campus


|137|4 Das Undergraduate College – Herzstück und Ikone der amerikanischen Hochschule

Gäbe es in der Hochschulwelt ein Ranking »typisch amerikanischer« Institutionen, gebührte dort weder Harvard noch der University of Phoenix der erste Platz, sondern einer ganz unscheinbaren Einrichtung: dem undergraduate college, jenem wissenschaftlichen Unterbau für graduate und professional studies, der in selbständigen Einrichtungen – Colleges eben – oder eigenen Abteilungen innerhalb größerer Universitäten gelegt und gepflegt wird. Außerhalb Amerikas hat dieses Institut nicht seinesgleichen. Nur hier dauert der erste Studienabschnitt in einem gestuften System überall vier Jahre (sonst sind drei Jahre die Regel). Nur hier schreiben sich Studienanfänger nicht für ein bestimmtes Fach ein, sondern bewerben sich beim College der Universität Kakania oder dem Kakania College, und entscheiden sich erst im Laufe ihres Studiums für eines der dort angebotenen Fächer. Nur hier umfasst diese Grundstufe neben der Vermittlung fachlicher Kompetenzen stets einen mal enger, mal weiter gefassten allgemeinen Bildungsauftrag, der ausdrücklich auch »moral and civic learning« einschließt. Nur hier kann man Medizin und Jura nicht schon vom ersten Studienjahr an studieren. Und nur hier schließlich begreift man diese Phase einer Hochschulausbildung als eine so wichtige rite de passage in die Selbständigkeit, dass man sie vielerorts in eine besondere Lebensform kleidet, das residential college. Viele Gründe also, sich dieses Unikat genauer anzuschauen.

Unsere Annäherung ans College als dem Herz und der Seele der Hochschulausbildung in den USA erfolgt, wie immer, in mehreren Schritten: Im ersten Abschnitt steht seine spezielle Aufgabe (mission), Arbeitsweise und Gestalt im Zentrum, im zweiten die Rolle der Zulassungen (admission) und alles, was daran hängt. Im dritten geht es um die Studenten, genauer gesagt um ein grobes statistisches Profil der amerikanischen undergraduates sowie um die Zugangschancen verschiedener sozialer Gruppen – ein Happen soziologisches Schwarzbrot also. Und weil es nicht angeht, über amerikanische |138|Hochschulen zu sprechen und über Studiengebühren zu schweigen, wollen wir am Schluss auch noch die Problematik rasant steigender Kosten für eine Collegeausbildung, ökonomischer Nutzenabwägungen und unterschiedlicher Zugangsmuster verschiedener sozioökonomischer Gruppen in den Blick nehmen.

Das undergraduate college ist keine Schule der Wissenschaft, wie sie die Humboldt’sche Universität sein wollte oder vielleicht auch war. Aber es bietet ein wissenschaftliches Studium und ist weder eine höhere Berufsschule noch eine Fortsetzung der Sekundarschule mit anderen Mitteln. Für die meisten Hochschulen – Elite-Unis allen voran – ist es ein Raum, in dem die Studenten jene »intellectual, moral, civic and creative capacities« schulen und entwickeln sollen, die sie für ihren Platz in einer offenen Gesellschaft brauchen. Sein Curriculum, zu dem die Fächer nur Bausteine liefern, ist so etwas wie die Visitenkarte einer Hochschule – und zugleich ein Politikum, in dem sich unterschiedliche Erwartungen an higher education wie in einem Brennglas bündeln. Verantwortet, abgestimmt und organisiert wird es vom College, hier verstanden als eine Querstruktur innerhalb der Universität mit eigenen Statuten und administrativem Personal.58 Neben der freien Entscheidung über die Aufnahme von Studienbewerbern ist die über ihr Studienprogramm der zweite Kernbereich der Hochschulautonomie Made in the U.S.



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